Donnerstag, 17. November 2011

well done



mit vielen Fragen sind wir gekommen.....



... mit noch mehr Fragen fahren wir wieder...


Abschlussgespräch mit Nick Mercer

Zum Abschluss trafen wir uns mit Nick Mercer in der Jerusalem Chamber zum Vortrag "A Secular Age".
Vortrag und Zusammenfassung der Thesen von Charles Taylor zu Gesellschaft und Glaube.











Unser allerletztes Treffen hatten wir heute mit Nick Mercer, dem Generalvikar der Diözese London. Mit ihm haben wir uns ja schon letzte Woche einmal getroffen und konnten noch die ein paar unserer Fragen klären bzw. sog. Heiße Eisen ansprechen und unsere Erfahrungen aus den bisherigen Treffen Revue passieren lassen.


Sonntagsöffnungszeit: Vor 20 Jahren wurde in England eine große Diskussion über die Sonntagsarbeit geführt. Das Ergebnis war ein Gesetz (Act of 1994), die den Geschäften Zeitfenster für die Öffnung der Geschäfte am Sonntag ermöglichet hat. Mit Ausnahmeregelungen konnte am Sonntag auch längere Zeit das Geschäft geöffnet bleiben. Über die Jahre hinweg hat die Mehrheit der Geschäfte von diesen Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht und an den Sonntagen nahezu durchgehend geöffnet. Aufgrund der Interreligiosität in GB ist der Sonntag nicht mehr alleine der Tag für Gottesdienstbesuche – auch der Samstag und der Freitag sind für Judentum bzw. Islam wichtige Ruhetage. Im Zuge der Säkularisierung war daher die Tendenz vorherrschend, dass man alle Religionen gleich behandeln und keinen speziellen Tag für den Gottesdienst frei geben sollte. Auch die Tatsache, dass nur 4-5% jeden Sonntag in anglikanische Kirchen gehen, hat zur Freigabe des Sonntags beigetragen. Dennoch wird am Wochenende auf Freizeitaktivitäten und die religiösen Bedürfnisse Rücksicht genommen: Es fahren weniger U-Bahnen und Busse. Ein Tag im Jahr ist sogar ganz verkehrsfrei: Am Christtag fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel!
Der Christtag ist für London sogar so wichtig, dass sich die Geschäfte bereits 8 Wochen auf Weihnachten vorbereiten und schon jetzt über die Weihnachtslieder auf und abgespielt werden!! Wir haben uns also wie zu Hause gefühlt ;)

Geschiedene / Wiederverheiratete: Die Entscheidung, ob eine Wiederverheiratung möglich ist, liegt zwar in der Verantwortung des Bischofs, dieser delegiert sie aber an die Priester vor Ort. Somit entscheidet der Pfarrer, ob bzw. wie liturgisch mit einer Wiederverheiratung umgegangen wird. Manche Priester/innen segnen das Paar; in den meisten Fällen findet aber eine „normale“ Hochzeit statt. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Fälle gibt es hier keine einheitliche Regelung.
Komplizierter wird die Sache, wenn einer der Partner ordiniert ist. Hier muss der Bischof eine Erlaubnis geben, wobei die einzelnen Fälle (Priester/in und/oder Partner/in ist geschieden) sehr verschieden sind. Die Erlaubnis des Bischofs wird in diesen Fällen meistens gewährt. Noch komplexer ist die Situation bei jemandem, der gerade in der Vorbereitung auf das Weihesakrament ist. Denn bevor das Sakrament gespendet wird, muss der betreffende Kandidat drei Jahre in einer stabilen Beziehung gelebt haben und eine Erlaubnis des Erzbischofs von Canterbury erhalten. So verschiebt sich von Fall zu Fall der Zeitpunkt der Ordination bzw. der Eheschließung.

Homosexualität: Nick Mercer meint, dass die Debatte über die Homosexualität deshalb so leidenschaftlich geführt wird, weil sie das Tor zur gesamten menschlichen Sexualität öffnet. Seine Methode ist es hier, Integrität in einem Graubereich zu leben. Differenzen in Fragen bzgl. Homosexualität liegen vor allem auf weltweiter Ebene (Lateinamerika, Afrika, England). Dieses Thema ist für Nick Mercer daher nicht vorwiegend ein Problem der Church of England, sondern der Anglikanischen Kirche als Ganzer. Nick Mercer glaubt deshalb nicht, dass diese Frage die Church of England spalten könnte.

Einige Fakten zwischendurch:
- ca. 1.000 Priester/innen in der Diözese London, davon 550 bezahlte im pfarrlichen Dienst, 150 nichtbezahlte im pfarrlichen Dienst und 300 in nicht-pfarrlichen Funktionen (Kirchenleitung etc.)
- daneben Priester/innen und Seelsorger/innen, die von den Pfarren selbst angestellt und bezahlt werden
- über 500 Worship-Communities, ca. 480 Pfarren
- ca. 150 von der Kirche betriebene Schulen
- ca. 200 Priester/innen befinden sich in Ausbildung
- mehr als 150 kategoriale Seelsorgestellen
- auch in der säkularisierten Gesellschaft Londons werden noch immer 90 % mit einem kirchlichen Begräbnis verabschiedet

Finanzierung: 25% der Einnahmen werden aus Verwertung der eigenen Liegenschaften und Finanzen lukriert. Dieser Betrag reicht aus, um die zentrale Administration abzudecken (inkl. Priesterausbildung). Die restlichen Einnahmen kommen aus Abgaben der Pfarren, die aber wieder für die Bezahlung der Gehälter und der Erhaltung der Gebäude der Pfarren verwendet werden. Im Allgemeinen hat die Diözese London keine finanziellen Probleme, allerdings wird in wirtschaftlichen Bereichen auch sehr professionell gearbeitet. Kirchenschließungen und schrumpfende Gemeinden sind eher auf dem Land zu finden. Wie in Österreich sind auch hier Schritte wie Kirchenverkäufe extrem umstritten.

offizielles Video der Diözese London:
http://vimeo.com/dioceseoflondon/commonfund
http://vimeo.com/28613874 (4 min Version)

Im Umgang mit den Medien pflegt der Bischof von London große Zurückhaltung und verzichtet auf persönliche Stellungnahmen. Natürlich behandeln die Zeitung auch hier kirchenbezogene Themen - vgl. Proteste vor der St Paul’s Cathedral -, wobei Nick Mercer die fehlende Sachlichkeit und Kenntnis der Materie kritisiert. Bei den sozialen Unruhen vor einigen Wochen, aber auch bei den Terroranschlägen auf die Londoner U-Bahnen vor einigen Jahren wurde die Rolle der Kirche medial sehr positiv wahrgenommen. Da die Priester ständig vor Ort sind, wurden sie auch als sichtbares Zeichen der Kirche wahrgenommen.